Liebe Kliestower,

 

ich habe schon Einiges ausprobiert und es gab auch eine Zeit, in der ich viele Geschichten geschrieben habe. Nur für mich, kommerziell habe ich keine davon veröffentlicht. Doch in Vorbereitung meines Beitrages zur aktuellen Kliwubla-Ausgabe habe ich mich an die nachstehende Kurzgeschichte erinnert. Ich habe sie vor fast 10 Jahren geschrieben und möchte Ihnen mit meiner „Leise(n) Zeit“ eine schöne Adventszeit wünschen.

 

Leise Zeit

 

Da liegt sie nun… gerade gewachsen, dicht im Wuchs und doch einsam. Eine Blautanne, stolz und voller Vorfreude wartete sie vor nicht allzu langer Zeit auf ihren großen Auftritt.

 

Sie war sich sicher, auch sie würde am Weihnachtsabend strahlend schön in einer Stube stehen. Kinder würden sie bestaunen und unter ihren Zweigen würden Geschenke liegen.

 

Die Zeit kommt, wo auch sie mitgenommen werden würde – so dachte die Blautanne noch am frühen Nachmittag. Menschen gingen an ihr vorüber und sprachen über ihre Schönheit. Und dann war es endlich soweit. Die Blautanne spürte die kalten Zähne der Säge und fiel auf weichen Waldboden. Kinder tanzten um sie herum und immer noch wähnte sich die Blautanne ihrem Traum so nah. Doch sie war nicht alleine. Auch die anderen Blautannen rund um sie herum träumten den gleichen Traum. Und da geschah es: Achtlos wurde sie zurückgelassen. Die Menschen, bei denen die Blautanne im Lichterglanz stehen sollte, entschieden sich für eine ihrer Nachbarn. Vergessen wurde sie, niemand kam mehr vorüber und beachtete die Blautanne. Die Nacht senkte sich und die letzten Tage bis zum Weihnachtsabend vergingen. Es wurde ruhig im Wald. Nur ab und zu setzte sich ein kleiner Vogel auf die Zweige und versuchte, die Tränen der Blautanne zu trocken, die wie verzauberte Regentropfen schienen. Doch eines Tages kamen wieder Menschen vorbei. Es war kalt geworden und im Garten der Familie stand noch eine Rose, ungeschützt und der Kälte ausgesetzt. Jetzt bedecken die Zweige der vergessenen Blautanne den Rosenstock, der bis dahin einsam und traurig im Beet stand. Rund um die Rose herum war alles trist oder gar abgestorben. Doch mit der Wärme, die die Rose mit Hilfe der dichten Tannenzweige fühlen konnte, schöpfte auch sie wieder Mut und Kraft, um sich auf das neue Jahr vorzubereiten.

 

So erfuhr die vergessene Blautanne noch nach vielen Tagen das Gefühl, gebraucht zu werden. Es muss nicht immer der strahlende Schein sein. Es ist das Leise, das uns die Herzen wärmt und uns neue Kraft schenkt. (gekürzt)

 

© Birgit Gentz